
Kann jeder meditieren lernen?
Veröffentlicht: Freitag, 12.12.2025 06:28
Weltmeditationstag
Berlin (dpa/tmn) - Meditation gilt als Wundermittel gegen Stress, Grübeln und Daueranspannung. Einmal ruhig hinsetzen, Augen schließen – und schon stellt sich innere Stille ein? Ganz so einfach ist es oft nicht, sagen zwei Fachleute und erklären, wie der Einstieg trotzdem gelingt und warum fast jeder profitieren kann.
Die gute Nachricht vorab: Meditation lässt sich zwar in der Theorie schwer erklären, lernen kann das aber prinzipiell jeder. Man brauche «ein neugieriges Interesse, sich darauf einzulassen», so Steffen Brandt, der als Psychotherapeut sowie Yoga- und Meditationslehrer tätig ist. Eine spirituelle Prägung sei nicht nötig.
Bewusst im gegenwärtigen Augenblick
Meditation ist eine Praxis, bei der man seine Aufmerksamkeit auf den gegenwärtigen Moment richtet. Sie hat ihre Wurzeln in religiösen und weltlichen Traditionen verschiedener Kulturen und wird seit Tausenden von Jahren praktiziert. 2024 hat die UN-Generalversammlung den Weltmeditationstag ins Leben gerufen, der am 21. Dezember auf die Bedeutung von Meditation für Gesundheit und Wohlbefinden aufmerksam machen soll.
Viele kennen Meditation in Bewegung - etwa aus dem Yoga. Moderne Achtsamkeitsprogramme sind häufig säkular angelegt. Ein bekanntes Beispiel ist Stressbewältigung durch Achtsamkeit (Mindfulness-Based Stress Reduction, kurz MBSR). Das achtwöchige Gruppen-Achtsamkeitstraining hat der Molekularbiologe Jon Kabat-Zinn bereits in den 1970er Jahren entwickelt. Es wird etwa angewendet, um besser mit Stress umzugehen, Emotionen zu regulieren und das Wohlbefinden zu steigern.
Martina Aßmann ist Vorstandsvorsitzende im Berufsverband der Achtsamkeitslehrenden in Deutschland (MBSR-MBCT-Verband). Wie sie erklärt, kann Meditation auch einfach bedeuten: im gegenwärtigen Augenblick bleiben und das ganz bewusst zu tun. «Und das kann in Grenzen wirklich jeder lernen», sagt Aßmann.
Was Meditation leisten kann
Grundsätzlich könne jeder von Meditation profitieren, «weil es im eigentlichen Sinne erst mal eine konzentrative Übung ist», so der Yoga- und Meditationslehrer Brandt. Man lerne, den Geist immer wieder auf etwas Bestimmtes auszurichten – etwa den Atem oder Körperempfindungen. Das könne «zu mehr Entspannung, Ausgeglichenheit und innerer Ruhe» führen. Studien belegen, dass Achtsamkeit und Meditation Stress reduzieren, die Stressresilienz erhöhen und sich positiv auf Stimmung, Depressionen und Angststörungen auswirken können.
Achtsamkeitstrainerin Martina Aßmann beschreibt die Wirkung von Achtsamkeit und Meditation so: «Die gute Nachricht ist: Wir kriegen mehr mit. Die schlechte Nachricht ist: Wir kriegen mehr mit.» Essen schmecke intensiver, man spüre die Luft auf der Haut, Freude und Verbundenheit deutlicher. «Wir kriegen aber auch mit, dass wir mal doofe Gedanken haben, dass wir Angst haben an Stellen, wo wir dachten: ‚Ach, das schaffe ich doch locker'», so Aßmann.
Im Verständnis der MBSR-Lehrenden in Deutschland geht es bei der Meditation aber darum, sich selbst besser kennenzulernen. Das beginne bei Körperempfindungen und reiche bis zu den eigenen Gefühlen und Gedanken.
Wenn Meditation zu Lärm statt Stille führt
Wer sich der Meditation nähern möchte, macht das am besten mit realistischen Erwartungen. Steffen Brandt begegnet immer wieder der Vorstellung, Meditation sei gleichbedeutend mit Erleuchtung. «Und dann passiert das absolute Gegenteil», so der Psychotherapeut. «Dass man erst mal feststellt, dass da eine ganze Menge an Gedankenlärm oder Gefühlschaos auftauchen, weil die Übung als Spiegel des eigenen Inneren fungiert.»
Auch problematisch: wenn Meditation wie ein Allheilmittel verkauft wird. «Es gibt teils sehr große Erwartungen an Wirkung und Heilsversprechen im Zusammenhang mit Meditation», so Brandt. Manche hoffen, sich «unfassbar gut entspannen» oder Depressionen und Angststörungen «wegsitzen» zu können. Diese Erwartungen müsse man dämpfen. Meditation könne unterstützen, ersetze aber keine Therapie.
Und doch können Meditation und Achtsamkeit spürbar entlasten – vor allem, weil sie Abstand schaffen. Martina Aßmann zufolge geht es darum, sich im gegenwärtigen Augenblick «niederzulassen», mehr vom Moment mitzubekommen und nicht sofort reagieren zu müssen.
Der Fokus auf den gegenwärtigen Augenblick nimmt den Druck, sofort handeln zu müssen. In stressigen Situationen kann man innehalten und fragen: «Was ist gerade los? Bin ich in Leib und Leben bedroht? Und erkennt dann: Nein, das ist gerade nur eine E-Mail», beschreibt Aßmann. So trägt Achtsamkeit zur Stressreduktion bei: «Weil wir nicht sofort, wenn es juckt, kratzen oder wenn es irgendwo klingelt, aufspringen müssen.»
Vom Einsteigen und Dranbleiben
Bleibt die Frage: Wie findet man eine Praxis, die gut zu einem selbst passt? Still im Lotussitz verharren, fällt vielen erst mal schwer. Am Anfang gehe es deshalb ums Ausprobieren, sagt Steffen Brandt. Beim Einstieg können auch kostenlose Online-Angebote helfen, auf vielen Plattformen werden geführte Meditationen angeboten. «Oft ist es ja so, dass man eine Ahnung hat, wer man so ist und welcher Typ man ist. Vielleicht merkt man auch, wo es einen hinzieht», so der Yoga- und Meditationslehrer.
·Darüber hinaus helfen Fragen wie:
- Wie still, wie bewegt soll das Angebot sein?
- Wie weltlich, wie säkularisiert möchte ich es haben?
- Mit welchem religiösen oder philosophischen Überbau soll meine Meditation versehen sein?
- Wie viel Räucher-Stäbchen, wie viel Meditationsmusik möchte ich?
Wichtig sei, sich ab einem bestimmten Zeitpunkt auch auf eine Form einzulassen und dranzubleiben. Langfristig gehe es darum, wirklich in einen Prozess zu kommen, so der Psychotherapeut.
Seiner Erfahrung nach kommt bei reinen Online-Formaten oft die Betreuung etwas zu kurz: «Fragen, die auftauchen, wenn man in die Stille geht, das Kopfkino startet und es eben nicht still wird, kann man oft nicht stellen.» Das kann Frust auslösen. Da ist ein Kurs, in dem man sich von einem Ansprechpartner oder einer Ansprechpartnerin begleiten lassen kann, oft ein guter Weg.
Um Meditation wirklich zu verstehen und zu verinnerlichen, empfiehlt auch Martina Aßmann Unterstützung - von Menschen, die sich auskennen, Irritationen auffangen und Fragen beantworten können.
Wie bleibt man am besten dran?
Aßmann betont, dass Achtsamkeit eine Haltung ist, die wir einnehmen können. Die Effekte im Gehirn und im Körper seien gut untersucht. Zu den Erkenntnissen gehört aber auch, «dass das, was da passiert, nichts ist, was nachhaltig ist». Wenn man mit der Übung aufhört, bildet sich vieles nach wenigen Wochen wieder zurück.
Wer Meditation zur nachhaltigen Stressreduktion nutzen möchte, brauche daher Kontinuität. Zum Beispiel mit einer etablierten Achtsamkeitsroutine, für die man täglich eine feste Zeit bestimmt. Oder aber, indem man Achtsamkeit im Alltag übt. Etwa, indem man den Morgenkaffee bewusst und ohne Handy genießt oder in der Bahn nicht sofort aufs Smartphone schaut, sondern die Wahrnehmung bewusst auf die Umgebung richtet.
Auch Brandt empfiehlt, Meditation als Routine in den Alltag einzubetten, etwa morgens oder abends für eine festgelegte Zeit. Und zwar mit den richtigen Rahmenbedingungen: ein stiller Ort, an dem man ungestört ist, das Handy aus, die Kinder nicht direkt daneben.