Glücksspielsucht: Kontrollverlust beim Zocken

Gefahr durch Online-Casinos

© Antenne Unna

Duisburg/Köln (dpa/tmn) - Ihre Drogen sind die Gewinnillusion und das berauschende Gefühl beim Spielen: Mehr als 400.000 Menschen in Deutschland galten im Jahr 2019 als glücksspielsüchtig oder hatten ein problematisches Spielverhalten.

Das zeigten Hochrechnungen der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA). Die Zahl der gefährdeten Personen geht in die Millionen. Wenn nun am 1. Juli der neue Glücksspielstaatsvertrag in Kraft tritt, mischen sich bei Suchtexpertinnen und Suchtexperten Hoffnungen und Befürchtungen. So soll es neue Präventionsmaßnahmen geben, zum Beispiel eine zentrale Sperrdatei. Abhängige müssen sich dann nicht mehr bei jedem Anbieter einzeln sperren lassen.

Online-Casinos überall legal

Doch es fallen auch Schranken: Online-Casinos werden deutschlandweit legal, vor dem 1. Juli waren sie das nur in Schleswig-Holstein. Die Suchtgefahren könnten steigen, mahnen Experten wie Ulf Weidig. Er arbeitet im Duisburger Zentrum für Abhängigkeitserkrankungen und psychosoziale Therapie des Alexianer Bürgerhauses.

«Wir befürchten, dass durch den Wegfall dieses Verbots in jetzt allen Bundesländern viel mehr für Online-Glücksspiel geworben werden wird», sagt der Sucht- und Sozialtherapeut. Das werde noch mehr Menschen zum Spielen um Geld in Online-Casinos animieren, sagt Weidig voraus. «In der Corona-Zeit hat das Zocken im Internet ohnehin gefährlich zugenommen.»

Auch die Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA) warnt vor einem erhöhten Suchtrisiko beim Glücksspiel im Internet. Eigenen Studiendaten zufolge zeige jede fünfte spielende Person beim Zocken im Netz ein problematisches oder abhängiges Spielverhalten. Unter check-dein-spiel.de informiert die BZgA Betroffene und Angehörige.

Wie äußert sich Glücksspielsucht?

Der Übergang von zunächst harmlosem und gelegentlichem Glücksspiel zu einer Abhängigkeit ist fließend - wie bei jeder Suchterkrankung.

Es fängt mit einer Gewinnphase an. In dieser werden kleine Gewinne als überwertig wahrgenommen und als wohltuend empfunden, erklärt Weidig. So eine Strähne kommt aber immer zu einem Ende.

«In der zwangsläufig folgenden Verlustphase können schmerzliche Verluste nicht mehr ignoriert werden.» In diesen Momenten soll das Glück mit noch mehr Spielen und höheren Einsätzen erzwungen werden. Nach dem Motto: Irgendwann wendet sich das Blatt wieder zu meinen Gunsten, irgendwann muss es wieder klappen! «Das ist der beginnende Kontrollverlust», so Weidig.

In der Abhängigkeitsphase wird das Spiel dann völlig unkontrolliert. Die Droge ist die Suche nach dem Glücksgefühl des Anfangs. Sobald Geld auf dem Konto ist, zum Beispiel nach Gehaltseingang, steigt der Suchtdruck, und die Lust zu Spielen wird übermächtig. «Dann übernimmt der Spielimpuls die Kontrolle über das Verhalten», sagt Weidig.

Ein wichtiger Rat: Abhängige sollten ihre Finanzen jemand anderem aus ihrem Umfeld anzuvertrauen, damit sie selbst keinen uneingeschränkten Zugriff auf die Geldmittel haben.

Was können Betroffene darüber hinaus tun?

Ein simpler, aber effektiver Tipp: offline gehen, wo immer es geht. Eventuell sollte man sich ein einfaches Tasten-Mobiltelefon zulegen, um nicht über das Smartphone online gehen zu können. «Das kann schon etwas helfen», sagt Weidig. Beim Zocken im Internet bestehe derzeit kein Schutz. Aus Weidigs Sicht werden auch die neuen Präventionsregelungen wie die zentrale Sperrdatei und das vorgesehene Einzahllimit von 1000 Euro im Monat daran nichts grundlegend ändern.

Wer abhängig ist, dem hilft oft nur eine Therapie. Schwerpunkte sind dabei Gruppenarbeit mit anderen Betroffenen und psychotherapeutische Einzelgespräche.

Menschen, die sozial gut eingebunden sind, einen Job und Familie haben und die in diesem Rahmen fähig zur Abstinenz sind, empfiehlt Weidig eine ambulante Therapie: «Da ist die Prognose oft günstig. 60 Prozent der Betroffenen haben Chancen, länger spielfrei zu sein.»

Arbeitslosen und alleinlebenden Menschen rät der Experte dagegen eher zu einer stationären Therapie. Diesen Menschen fehlten oft Sinn, Motivation und auch die Kraft, überhaupt gegen das süchtige Verhalten ankämpfen zu können, begründet er. Da bedürfe es meist einer therapeutischen Gemeinschaft in einem schützenden Klinikrahmen.

Generell gilt: Man kann spielfrei werden. Doch die Verhaltensstörung lauert weiter im Hintergrund. Es kann also jederzeit Rückfälle geben. Deshalb gilt es, langfristige Strategien zu entwickeln, um mit diesem Risiko umzugehen. Hier unterscheidet sich die Glücksspielsucht nicht wesentlich von Alkoholsucht und anderen Abhängigkeitserkrankungen.

Kommen Süchtige selbst zur Erkenntnis, ein Problem zu haben?

Das sei fast nie der Fall, sagt Weidig. Selbst wenn das eigene Vermögen verspielt ist, setze häufig kein Umdenken ein. Dann wird zum Beispiel das Konto des Partners oder das Sparbuch des Kindes geplündert. In schweren Fällen wird zum Beispiel am Arbeitsplatz Geld betrügerisch für die Befriedigung der Glücksspielsucht abgezweigt.

Es müssten immer erst persönliche Katastrophen passieren, ehe jemand von sich aus tätig wird, sagt der Suchttherapeut. Hierzu zählen Trennungen, fristlose Kündigungen oder Strafanzeigen wegen Betrugs.

Welche Rolle haben die Angehörigen?

Angehörige spielen eine sehr große Rolle bei der Bewältigung der Erkrankung. Das zeigt sich auch an Weidigs Empfehlung, dass für Menschen in einem funktionierenden Gefüge eine ambulante Therapie eher in Betracht komme. Erstens könne durch Angehörige verloren gegangener Realitätsbezug eher wiederhergestellt werden. Zweitens können Angehörige Veränderungen beim Abhängigen wahrnehmen und ansprechen - und damit womöglich helfen, Rückfälle zu verhindern.

Da die Betroffenen oft nicht selbst tätig werden, sind Angehörige auch schon vorher gefragt, indem sie aktiv mitwirken und Konsequenzen androhen - zum Beispiel eine Trennung oder die Sperrung von Konten. Oft erst dann machen Süchtige den Schritt in die Therapie.

Was Angehörige nicht tun sollten: Schulden Betroffener begleichen, ihnen Geld leihen oder gar Kredite aufnehmen. Zum einen kommt es beim Süchtigen dadurch nicht zu dem notwendigen Prozess des Umdenkens. Zum anderen geraten Angehörige am Ende womöglich in eine Schuldenfalle.

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